you never walk alone.

Nun bin ich bereits über einen Monat allein in Südamerika unterwegs. Moment! Allein stimmt nicht ganz. Meine vergangenen Wochen waren vor allem von einer Erkenntnis geprägt: You never walk alone. Wie ich all diese wunderbaren Begegnungen erlebt habe und  warum ich sie gar nicht immer so wunderbar fand, erfährst du in diesem sehr persönlichen Artikel.

Auf meinen Anschlussflug wartend stehe ich in London am Flughafen und das erste Mal habe ich das Gefühl von ehrlicher, waschechter Vorfreude auf meine Reise. Zugegebenermaßen habe ich mich mit der Vorbereitung einer großen Gartenparty zu meinem 30. Geburtstag vier Tage vor meinem Abflug nach Buenos Aires, der Wohnungsübergabe und den allgemeinen Reisevorbereitungen ziemlich übernommen. Zudem plagt mich das schlechte Gewissen, dass ich meinen Freund, der noch immer nicht besonders angetan ist von meinen Plänen, monatelang zurücklasse. Ich habe mir das irgendwie einfacher vorgestellt.

Dankbarkeit.

Und nun stehe ich hier, habe gerade ein intensives, sehr schönes Telefonat mit meiner längsten Freundin beendet, deren ehrliche Freude und Aufregung ich von Berlin nach London durchs Handy spüren konnte, was mich sehr glücklich macht. Dieses Gefühl reiht sich ein in eine tiefe Dankbarkeit für meine Familie und meine engsten Freunde, die mir mit meiner Party und am Flughafen einen wunderschönen Abschied beschert haben und mir einmal mehr zeigten, wie tief wir verbunden sind. Ich beginne über die kommenden vier Monate nachzudenken, über das Alleinsein, über das Reisen. Und es kribbelt in mir. Reisefieber. Aufregung. Vorfreude. Ich bin bereit.

Ein erstes, strahlendes Lächeln.

Gemütlich betrete ich das Flugzeug, ich habe Zeit. Ab jetzt werde ich mich von nichts und niemandem mehr stressen lassen.
Mist, ich habe einen Gangplatz, in der Mitte! Hmpf! Egal, schlimmer geht immer. Ah, da ist mein Platz. Vom Nebenplatz strahlt mir eine junge Frau entgegen. Kenne ich sie? Warum würde sie mich sonst so freudig ansehen? Sie sitzt neben einem Mann in ihrem Alter. Nein, beide noch nie gesehen. Ich lächle zurück und setze mich. Schön. Etwas später kommen wir ins Gespräch, das junge Paar aus dem Allgäu macht eine 6-wöchige Tour durch Teile Südamerikas und scheint angetan von meinen Plänen. Wir stellen fest, dass unsere Unterkünfte in Buenos Aires in der gleichen Gegend sind und beschließen, uns vom Flughafen gemeinsam mit dem Bus auf den Weg zu machen. Nachdem ich mich in Buenos Aires angekommen kurz in den Waschräumen frischmache, erwarten die beiden mich bereits am Gepäckband „Wir haben uns schon gewundert, wo du bist.“ Was für liebe Menschen. Und genau so geht es weiter.

Eine Couchsurfing-Mama in Buenos Aires.

In den nächsten Wochen begegne ich vielen unglaublich netten, hilfsbereiten Menschen. In Buenos Aires versuche ich es das erste Mal mit couchsurfen. Geplant sind zwei Tage, zum Ankommen und Orientieren, danach soll es in ein Hostel gehen. Aber dazu kommt es nie, denn Isabel bittet mich, so lange zu bleiben, wie ich möchte. Ich habe mein eigenes Zimmer und ein eigenes kleines Bad. Wir quatschen viel, essen zusammen, sie zeigt mir die Stadt und stellt mich ihren Freunden vor, die mich wiederum mit auf eine private Statdführung nehmen. Insgeheim nenne ich Isabel meine Couchsurfing-Mama. Ich fühle mich wohl.

Ein Stück gemeinsam allein reisen.

Allein mache ich mich auf den Weg zu einem Kurztrip ins Nachbarland Uruguay. Knapp 10 Minuten sitze ich allein im Hostal in Colonia del Sacramento bis sich zwei Australierinnen zu mir an den Tisch gesellen. Mit einer der Beiden Reise ich nun seit über zwei Wochen durch Patagonien. Wir haben uns in Ushuaia wiedergetroffen und beschlossen, eine Weile gemeinsam allein zu reisen.
Auch mit dem lieben Holländer, der auf seinem Motorrad quer durch den Kontinent reist, bin ich weiterhin verbunden. Wir machen einen Spaziergang durch Montevideo bei Nacht und kochen Minimal-Pasta, als wäre es das Normalste der Welt und nicht, als würden wir uns eigentlich gar nicht kennen. Seine Reise geht weiter gen Brasilien, wir schreiben uns immer noch in regelmäßigen Abständen und erkundigen uns, wie es dem Anderen ergeht. Und wer weiß, vielleicht kreuzen sich unsere Wege in Bolivien oder Peru oder sonst irgendwo auf der Welt erneut. glacier perito moreno

Der Anfang einer Freundschaft am Ende der Welt.

Nach 10 Tagen Buenos Aires mache ich mich auf den Weg ans Ende der Welt – Ushuaia ruft. Und ich bin aufgeregt.
Völlig übermüdet steige ich gegen 6:30 Uhr ins Taxi Richtung Flughafen. Hauptsache schnell ins Flugzeug und vier Stunden weiterschlafen. Etwas hibbelig sitze ich am Gate, beobachte die Skyline, wie sie von schwarz zu blau wechselt und frage mich, ob ich die spanische Durchsage richtig verstanden habe. Das kann eigentlich nicht sein. Denn wenn die freundliche Dame vom Bodenpersonal den wartenden Fluggästen eben wirklich mitgeteilt hätte, dass der Flug verschoben oder gecancelt wird und dass weitere Informationen dazu in zwei Stunden folgen, würden die Menschen sich doch aufregen, oder!? Ich schnappe meinen Rucksack und gehe zum Schalter, um mir die Informationen nochmal persönlich durchgeben zu lassen. Und tatsächlich, in Ushuaia herrscht Schneechaos, der Flughafen muss möglicherweise geschlossen werden und nichts genaues weiß man nicht. Und in den Gesichtern der Wartenden regt sich keine Miene. Wo gibt es denn sowas? In Deutschland hätte ich vor lauter Aaaahhs und Oooohs und Mists und Grrrrrs, genervter Blicke und Kopfgeschüttele sofort genau gewusst, was los ist, ganz gleich auf welcher Sprache die Ansage ist. Still freue ich mich über diese Gelassenheit und gehe zurück zu meiner Bank mit Blick auf das Rollfeld und die Stadt. Mist, da hat sich doch glatt ein Mann neben meinen leeren Platz gesetzt. Während meiner Reiserecherche habe ich doch gelesen, dass man sich als Frau lieber nicht neben fremde Männer setzen soll. Ich schaue mich um – man kann nicht gerade sagen, dass das Gate von leeren Plätzen nur so wimmelt. Und außerdem saß ich da schließlich zuerst. Irgendwie. Also gehe ich zurück und setze mich zielstrebig auf meinen Platz. Nach vielen Stunden auf zwei verschiedenen Flughäfen, zwei gecancelten Flügen und einer kostenfreien Nacht in einem schicken Hotel lande ich endlich am Ende der Welt, um einige Stunden Schlaf ärmer und eine echte Freundschaft reicher. Der Fremde vom Flughafen, den ich innerhalb von 24 Stunden zwischen Flughafen, Hotel, Bus-, Taxifahrten und einem Flug auf recht intensive Weise kennengelernt habe, bringt mich zu meiner Couchsurfing-Unterkunft und bietet mit an, mir sein Ushuaia zu zeigen. Zwei Tage später landet meine australische Freundin in Ushuaia, wir übernachten einige Tage im Zimmer seiner Kinder und fühlen uns wortwörtlich wie zuhause. Auch 14 Tage nachdem ich das Ende der Welt verlassen habe, fragt er mich regelmäßig, wie es mir geht, ob ich etwas brauche und bietet mir seine Hilfe an. Ein weitere, zauberhafte Begegnung, die mich enorm bereichert und gestärkt hat. ushuaia

Warum bin ich eigentlich nie so richtig allein?

„Ich habe mein Zuhause verlassen, um allein in die große, weite Welt zu ziehen. Um mir zu beweisen, dass ich niemanden brauche, der sich um mich kümmert, dass ich gut allein zurecht komme. Und nun begegnen mir ständig extrem hilfsbereite, offene Menschen, die mir ihre Unterstützung anbieten. Irgendwie bin ich nie richtig allein. So war das nicht geplant. Was mache ich falsch? Was hat das zu bedeuten? Was lerne ich daraus? Strahle ich Hilfsbedürftigkeit aus?“ frage ich meine Australierin auf einem unserer Spaziergänge.
„You don’t!“ ist ihre bestimmte, sehr beruhigende Antwort.
„Vielleicht bedeuten alle diese positiven Begegnungen etwas ganz anderes. Vielleicht sollst du wissen, dass du, egal wo du bist, egal wohin du gehst, niemals wirklich allein sein wirst. Es wird immer jemand da sein.“
torres del paine, wandern

4 Comments

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  1. 1
    Jakob

    Hi Bea,
    Ich hab mich beim Lesen an meine Südamerika-Reise (auch alleine) vor ein paar Jahren erinnert. Anfangs hatte ich so meine Bedenken, aber die waren auch von der ersten Sekunde meiner Reise umsonst. Heue blicke ich gern auf diese Zeit zurück (wie das klingt…), und freue mich sogar vereinzelt, dass auch solchen REisebekanntschaften so etwas wie Freunde geworden sind. Zumindest besucht man sich ab und zu in den Städten und ist auch jetzt noch in Kontakt!

    Liebe Grüße, und schöne weitere Reise!
    Jakob

    • 2
      bea

      hallo lieber jajob, vielen dank für deine ruckmeldung. wie schön zu hören, dass du noch immer kontakt zu manchen deiner reisebekanntschaften hast! viele grüße aus la paz

  2. 3
    Josi

    Ich hab mit viel Spannung und Interesse über deinen ersten Erfahrungen und Begegnungen gelesen. Ich hoffe, es läuft weiter alles so gut für dich und du teilst bald noch mehr Geschichten mit uns!

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